Kaiser Karl und das schrille Mailand der 80er Jahre
Mrz 15

Kaiser Karl und das schrille Mailand der 80er Jahre

Design

Karl Lagerfeld und Interiordesign

Im März sind wir inspiriert vom frühen Stil des kürzlich verstorbenen Modezaren, Kaiser Karl – oder Karl des Großen, wie ihn die internationale Presse gern genannt hat. In seinen 85 Jahren Lebenszeit wurde er Zeuge so manchen Trends und hielt sich auch nicht zurück, selbst hin und wieder das Zeitgeschehen zu prägen. Wie ein Aushängeschild dafür erscheint seine Wohnung in Monte-Carlo, die er in den 80er Jahren komplett im Memphis-Milano-Design einrichtete.


Courtesy of Barbara Radice, „Memphis: Research, Experiences, Results, Failures and Successes of New Design“

Eine Stilrichtung, die, wie Schulterpolster, „Powersuits“, Karottenhosen und andere Phänomene der schrägen Dekade, im Jahr 2019 ein ganz einzigartiges Comeback feiern soll – so sieht es zumindest die Fachpresse kommen.

Ähnlich wie diese modischen Stilblüten bricht die Designergruppe Memphis-Milano mit der klassischen Vorstellung von gutem Produktdesign, die zu Anfang der 80er Jahre noch stark von Massenproduktion und der daraus resultierenden, sehr schlichten und reduzierten Stilrichtung des Funktionalismus geprägt war.

Gutes Design, so formulierte es der berühmte deutsche Industriedesigner, Dieter Rams, hatte damals in erster Linie folgende Funktionen zu erfüllen: es hatte innovativ zu sein, es sollte ein Produkt brauchbar und verständlich machen, es war ästhetisch sowie unaufdringlich, ehrlich, langlebig und konsequent bis ins letzte Detail und zudem umweltfreundlich.

Aus der heutigen Perspektive mag das sehr aktuell und richtig klingen, schließlich dominiert das reduzierte Design auch momentan die Welt der Dinge.

Memphis-Milano: Form follows Fun

Den Revolutionär Ettore Sottsass stieß diese Idee jedoch geradewegs ab. Der italienische Designer war seit den 50er Jahren international tätig und bekam so einen Einblick in die materielle Kultur verschiedenster Nationen und Epochen. Die amerikanischen Vororte der 50er Jahre in Ihrer, für den Italiener absolut befremdlichen, ja fast schon verstörenden Konformität und – dem entgegenstehend – eine Indienreise im Jahr 1961 prägten seine Ideen nachhaltig.

In der fernöstlichen Welt umgab man sich keineswegs mit den im Westen omnipräsenten, seriell angefertigten und vereinheitlichten Gegenständen. Für die Menschen im vorindustriellen Indien hatten Dinge zudem eine sehr emotionale Bedeutung, sie ritualisierten auch teilweise sinnlos wirkende Objekte und standen in einer wirklichen Beziehung mit ihrer materiellen Kultur.

Und diese individuelle Beziehung zu den Dingen ist es, die Sottsass schließlich mit dem Memphis-Milano Design fordert. Zusammen mit einigen anderen Mailänder Designern gründet er die Anti-Design-Gruppe und lehnt sich visuell auf, gegen die schlichte und sachliche Massenkultur. Nicht mehr Funktionalität, sondern Individualität wollen sie kreieren, mit ihren bunten, schrillen Farben und überschwänglichen Ornamenten, ihren schrägen Mustern und extravaganten Formen.


Oben: Sofa „Lido“, Tischleuchte „Oceanic“, Tisch „Polar“, Sessel „Bel Air“
Unten: “Max” by Ettore Sottsass 1987 – Memphis Milano Collection
Sideboard in lacquered wood, reconstituted veneer, terrazzo tiles and plexiglass
W. 132, D. 32, H. 223 cm
Photo Credit Pierpaolo Ferrari
Courtesy Memphis Milano

Auf keinen Fall soll es mehr der Zweck eines Objekts sein, für den es geschaffen ist, dieser wird bewusst in den Hintergrund verbannt.

Viel wichtiger sind die einzelnen Bestandteile des Objekts: „Wir tendieren dazu, das Design als Folge von Zufälligkeiten zu begreifen, unser Glaube hält diese Geschichte der Zufälligkeiten zusammen und gibt ihr eine Bedeutung“, so der Designer.

Kein Wunder also, das Sottsass‘ Regal „Carlton“ oder de Lucchi’s Sessel „First“ viel weniger an Bücherablage oder Sitzgelegenheit als an eine postmoderne Installation erinnern.

Oben: “Carlton” by Ettore Sottsass 1981 – Memphis Milano Collection
Room divide in plastic laminate
W. 190, D. 40, H. 196 cm
Photo Credit Pariano Angelantonio
Courtesy Memphis Srl, Milano
Unten: Regal „Carlton“, Sessel „First“

Und die Reaktionen?

Nicht nur den Künstlern, sondern auch Publikum und Presse erschien dieser visuelle Tapetenwechsel wohl wie eine Notwendigkeit: die Präsentation der ersten Kollektion aus schrägen Möbeln, bunter Keramik und explosiven Accessoires auf der berühmten Mailänder Möbelmesse, der „Salone del Mobile“, im Jahr nach der Gründung der Gruppe, 1981, war ein voller Erfolg. „Als hätte eine Bombe eingeschlagen“, beschreibt Sottsass den Besucherandrang. Auch auf der anderen Seite des Atlantiks blieb dies nicht unbemerkt: die New York Times berichtet am nächsten Tag über eine besondere Aufregung, die sich unter den zahlreichen Messebesuchern breit gemacht hatte. Die Empörung, aber auch die Begeisterung des Publikums waren es, die den Mailändern und ihrer einzigartigen Philosophie nun schnell zu weltweiter Bekanntheit und Berühmtheit verhalfen. Karl Lagerfeld richtete sich besagtes Apartment ein, und der ehemalige Kurator der Abteilung Design des Museum of Modern Art in New York, Emilio Ambasz, ging sogar so weit, den bunten Möbeln die Qualität von Haustieren zuzuschreiben: man könne sie umarmen, mit ihnen spielen und sie nachts zum Schlafen zudecken, so der international bekannte Designer, Architekt und Autor.


Treue Begleiter? Robot Cabinet „Ginza“ von Masanori Umeda und Tisch „Flamingo“ von Michele de Lucchi
Courtesy Memphis Srl, Milano

It’s like candy!

Wie die meisten ihrer Art führt aber auch diese enorme Welle der Begeisterung schnell zu einer Übersättigung und beginnt so zum Ende der 80er Jahre hin wieder abzuebben. Ettore Sottsass verlässt die Gruppe und Karl Lagerfeld versteigert schließlich in einer aufwändigen Auktion seine Einrichtung.

Das Memphis Design habe Ähnlichkeit mit einer Süßigkeit, resümiert der Gründer ganz offen – zu viel davon könne schlicht und einfach zur Übelkeit führen.

Aber, wie der Schweizer Arzt und Philosoph Paracelsus es schon im 16. Jahrhundert formulierte: erst die Dosis macht das Gift – ein ganzes Apartment mit Memphis Möbeln mag also vielleicht etwas zu explosiv auf seine Bewohner wirken, eine Keramik oder ein Accessoire hier und da kann jedoch auch eine inspirierende Wirkung besitzen.


„Muster Bacteria“ und verschiedene Glasobjekte von Sottsass, de Lucchi und Co.
Courtesy Memphis Srl, Milano

The Rebel with a Cause.

Nicht umsonst gelten Objekte aus der Memphis-Milano-Bewegung im Jahr 2019 als hochpreisige Designklassiker, die so manche exklusiven Galerien und Heime zieren. Zudem ist das Konzept der Gruppe und die inhärente Rebellion gegen den „guten Geschmack“ nach wie vor ein gängiges Vorbild für kontemporäre Designer und Architekten. „Es zelebriert die Diversität und das Unorthodoxe“, so einer der Kuratoren des New Yorker „Metropolitan Museum of Art“, Christian Larsen, und wird deswegen immer wieder die Mode prägen.

Diese lebt ja bekanntermaßen auch von der Abwechslung –  man möchte sich also fast schon wünschen, dass die Fachpresse auf dem richtigen Weg ist und der allseits gerühmte skandinavische Minimalismus – inklusive des dänischen Hygge-Stils – im kommenden Frühling von ein paar schrillen und schrägen Farbtupfern à la Memphis aufgefrischt wird.


Memphis | Post Design Gallery in Milan
Photo Credit Luca Miserocchi
Courtesy Memphis Srl

Very special thanks to Memphis S.r.l. for the courtesy of the images !
All the image rights rely with them.




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